Unbewaffnet im Amazon-Dschungel

Noch mal knackig nachgereicht in Sachen hier und dort – und einen klaren Blick über die Ufer des amazon hinauswerfend:

1) Ich liebe meine Buchhändlerin. Da amazon sie über kurz oder lang arbeitslos machen wird, hat amazon dafür zu sorgen, dass sie trotzdem genauso gut leben kann wie vorher.

2) Es ist ungeheuer doof, smarte, saubere und planetenfreundliche Lösungen zu sabotieren, nur weil man keine Phantasie hat.

3) amazon hat sich gefälligst nicht meine Kundendaten zu merken. Außer, ich erlaube das ausdrücklich (und amazon bezahlt dafür anständig).

All dies ist derzeit nicht mal am Rande Gegenstand der Debatten um amazon und den Buchhandel (und den sonstigen Handel, der viel mehr Aufmerksamkeit verdiente). Statt dessen erleben wir, dass Autoren (die mit etwa 5% am Verkaufspreis eines Buches beteiligt sind) sich schützend vor den Buchhandel werfen (circa 40% Beteiligung am Verkauf jedes Buches), um Arbeitsplätze zu retten – und dass verantwortungsvolle Kunden mit dem Auto zum Händler fahren, um dort festzustellen, dass das von Ihnen gewünschte Buch nicht vorrätig ist. (Die anderen 50-95% Kunden kaufen einfach bei amazon, ohne nachzudenken, und haben sowieso keine Fragen, schon gar nicht zu Algorithmen, Big Data und Datenschutz (-> Computer -> Das Netz).)

Die eigentliche Debatte bleibt dabei aus. Statt dessen versucht ein staatlich mittels Buchpreisbindung gut geschützter Verein, das längst erfundene Rad wieder eckig zu machen bzw. die Katze in den Sack zurückzustopfen. Schlau ginge anders, politisch verantwortungsvoll erst recht.

Gehen wir´s mal verboten sachlich durch: Der amazon-Algorithmus weiß qua vorliegender Riesendatenmenge besser als jeder Buchhändler, was mich interessieren könnte (eben: weil er meine Vorlieben „kennt“ und obendrein lauter andere Kunden „wie mich“), obendrein erspart amazon mir und Gaia die Autofahrt in eine Buchhandlung, ist also bequem und entlastet den Planeten. Hinzu kommt wohl in 90 (meinetwegen 50) von 100 Fällen, dass der Kunde nicht blind in Regalen stöbern will, sondern ganz genau weiß, was er kaufen möchte. Nicht irgendein Buch, sondern ein ganz bestimmtes. Der Besuch beim Buchhändler ist also eigentlich obsolet, bestenfalls Luxus, und garantiert schlecht für die Co2-Bilanz. Es geht schneller, sauberer und bequemer. Das Problem ist nur, dass die saubere Lösung in diesem Fall einen Arbeitsplatz vernichtet. Mit diesem Argument verhindern wir praktisch alle sauberen, zeit- und energiesparenden Lösungen. Denn wo kämen wir denn hin, wenn wir den Maschinen alle Arbeit überließen? Oder alles Verwalten von zu Hause erledigten? Alptraum! 50% weniger Arbeitsplätze! (Und geh mir weg mit 3D-Druckern!)

Dumm nur: Das Horrorszenario „50% der heutigen Arbeitsplätze gehen in den nächsten Jahren verloren“ tritt sowieso ein, die soliden Prognosen liegen ja längst auf den Tischen (-> Computer -> Arbeit). Statt allerdings nun der Realität ins Auge zu sehen und zu sagen: „Okay, das passiert zwangsläufig, aber wie können wir die Realität, die Gesellschaft, so umgestalten, dass die Ex-Buchhändler trotzdem gut leben können?“, verschließen wir die Augen, stopfen an der bissigen Katze herum und machen alles nur schlimmer.

Abgekürzt, in Prosa für Nichtbetriebswirte: Wenn eine -> Maschine (ob Webstuhl oder Big-Data-Algorithmus) einen Arbeitsplatz vernichtet, muss die Maschine den Verdienstausfall des ersetzten Menschen tragen. Für immer. Also muss amazon den Monatslohn und später die Rente meiner Buchhändlerin zahlen, eben weil sie nicht mehr arbeitet. Illusorisch? Surreal? Nicht realisierbar? Denkste.

Genau das ließe sich tatsächlich vergleichsweise einfach regeln und zur Lösung schicken, wohin es gehört: zu den „Kräften des Marktes“, den Controllern, Kostenstellenrechnern und Algorithmen bei amazon. Wären nämlich die gesetzlichen Regelungen so gestaltet, dass amazon für´s maschinelle Wegrationalisieren meiner Buchhändlerin sagenwirmal 25% Steuern auf jeden Buchverkauf extra zahlen muss, wird amazon blitzschnell rechnen und entweder a) sich wegen fehlender Gewinnaussichten in Luft auflösen oder b) zum Schluss kommen: „ok, es lohnt sich sogar dann noch haarscharf für mich, wenn ich die Buchhändlerin lebenslang alimentiere“ – und alle arbeitslosen Buchhändler fortan versorgen.

Da wir indes ungeheuer simple Lösungen wie diese nicht sehen und statt dessen in unserem Lobbyquark rudern und nur reflexartig herausbekommen „Wie müssen die Arbeitsplätze erhalten! Auch die sinnlosesten!“, erlauben wir amazon, mit jeder erledigten Buchhändlerin einen Riesendeal zu machen (ungefähr 40% vom Ladenpreis jedes Buches abzüglich Mindestlohnpackhilfe in Bad Hersfeld).

Es wäre verblüffend einfach, das Angebot deutlich unattraktiver zu gestalten. Und dann mal abzuwarten, ob amazon auch bei nur 2% maximaler Gewinnsteigerung weiter mitspielt. Falls nicht, behält meine Buchhändlerin ihren Job und ihr Einkommen, falls ja, behält meine Buchhändlerin ihr Einkommen.

Dass „wir“ = Kunden das nicht verstehen, ist nicht schön. Dass wir = „Staat“, „Gesetzgeber“, „Politik“ das nicht verstehen, ist verheerend.

Und, doch, ja, dasselbe gilt für all unsere Arbeitsbereiche (-> Arbeit) – und zwar fast überall in noch viel dramatischerem Maß als für die Buchhändlerinnen, denn Turnschuhverkäuferinnen sind eben nicht geschützt durch eine Turnschuhpreisbindung. Wir haben schlicht überall und flächendeckend vergessen, unsere Maschinen in die Versorgungspflicht zu nehmen, und wenn wir sagen „wir wollen alle Arbeitsplätze erhalten“, dann meinen wir eigentlich was ganz anderes: „Wir wollen, dass wir alle gut leben können, dass wir Geld haben, um einzukaufen.“ Nun müsste nur noch in die Köpfe durchdringen, dass das in einer Welt, in der intelligente Maschinen fast die ganze Arbeit erledigen, auch ganz problemlos möglich ist. Oder wäre. Wenn wir denn die Augen öffnen würden, statt panisch das Rad wieder eckig klopfen zu wollen.

Und so spielt unsere entschlossene Blindheit denen, die uns ins Bequeme wegrationalisieren, vollständig in die Karten. Was eben am Ende dazu führen wird, dass wir nicht nur alle keine Arbeit mehr haben, sondern eben auch kein Geld mehr zum Leben. Verhindern ließe sich das problemlos, nur sind wir eben leider vor Panik blind – und so verhungern wir, obwohl wir doch längst im Paradies angekommen sind.

Eine Antwort

  1. Lieber Sven, ich weiß nicht, ob du das Video von Rob Hopkins (Transition Town) kennst, das eine gute Frau auf Deutsch synchronisiert hat. Wenn nicht, schau es dir an, es ist sehr klar und eindringlich. Und ich habe die ganze Wahrheit nochmal gelesen, allerdings nur das, was ich beim ersten mal überschlagen habe. Jetzt wühle ich mich durch die Anmerkungen und entdecke die Masse der angebotenen Links und schließlich sogar die
    Videos von G. Seyfried und Z.Riemann. Ihr habt echt eine Riesen Arbeit geleistet, nochmal danke, danke, danke! Jan
    https://www.youtube.com/watch?v=P7u-YvsLaUQ

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